Ein anderer Blick auf Leben und Sexualität – André Van Lysebeth
Im heutigen Boom des Interesses an Tantra als alternativer Philosophie, die uns im Westen fehlende geistige Grundlagen bietet, ist eine Vielzahl von Büchern zu diesem Thema entstanden.
Doch wie soll man sich in dieser Flut von Literatur zurechtfinden? Es gibt viele Autoren, und jeder ist überzeugt, dass sein Weg der einzig wahre ist.
Neben wertvollen Werken entstehen auch Bücher, die nur als Reaktion auf die hohe Nachfrage nach „spiritueller Literatur nach Maß“ geschrieben wurden – gefüllt mit wohlklingenden, aber leeren Phrasen.
Ich möchte Ihnen meine (subjektive) Vorstellung von Büchern über Tantra, Therapie, Philosophie und persönliche Entwicklung näherbringen.
Ich beginne mit einem Buch, das in Tschechien aus irgendeinem Grund besonders verbreitet ist:
TANTRA – Der Kult des weiblichen Prinzips oder Ein anderer Blick auf Leben und Sexualität von André Van Lysebeth (1918–2004).
Vielleicht kennen Sie ihn als Autor zahlreicher Yogabücher (Ich lerne Yoga, Perfektioniere mein Yoga, Pranayama – Die Atemtechnik).
Er verweist in seiner Biografie auf verschiedene indische Gurus und Institute, die sich mit Yoga-Forschung beschäftigen.
Die Verbindung östlicher Philosophie mit westlicher Erzählstruktur ist für ihn charakteristisch, kann für den europäischen Leser jedoch etwas chaotisch wirken.
Der sachliche Stil wechselt zwischen lockerer Erzählweise und gelehrter Tiefe. Praktische Ratschläge zu Meditation, Atem oder Sexualität werden mit Exkursen über Archäologie, Philosophie und Physik vermischt – und plötzlich befinden wir uns mitten in einer persönlichen Anekdote.
Das Gesamtbild wirkt daher etwas uneinheitlich.
Das Buch erschien 1988; obwohl es eine jahrhundertealte Philosophie behandelt, sind einige Angaben, insbesondere archäologische, ungenau. Dennoch halte ich die Lektüre dieser fast 500 Seiten für lohnenswert.
Es ist eines der wenigen ins Tschechische übersetzten Werke, das versucht, Tantra in seiner Gesamtheit zu erfassen, ohne es auf sexuelle Techniken zu reduzieren.
Das Buch ist in acht Kapitel gegliedert. Das erste wagt eine anthropologische Analyse Indiens und Europas – leider unter Verwendung von Materialien aus den 1940er Jahren, die von Hitlers Wissenschaftlern gesammelt wurden.
Dann folgt die Beschreibung des Kastensystems, das tantrische Strömungen unterdrückte.
Das zweite Kapitel definiert Tantra und seine philosophischen Grundlagen und zeigt den Versuch des Autors, tantrische Ideen durch westliche Philosophen (von Giordano Bruno bis Descartes) zu rechtfertigen.
Sein Bemühen wirkt widersprüchlich, doch nachvollziehbar: Der europäische Mensch ist von Mystik fasziniert, bleibt aber rational, liebt Logik, Ordnung und Beweisbarkeit.
Die östliche Philosophie, insbesondere Tantra, misst diesen Begriffen keine große Bedeutung bei.
Van Lysebeth preist sie und widerlegt sie zugleich, indem er wissenschaftliche Beweise sucht.
Er ist jedoch kein Heuchler – seine Arbeit ist ehrlich, fundiert und von Erfahrung getragen.
Unsere rationale Struktur ist tief verwurzelt, und ein anderer Ansatz wäre für einen westlichen Autor unnatürlich.
Die mittleren Kapitel (3–6) sind praktischer Natur – mit Atem-, Körper- und Meditationsübungen sowie sexuellen Aspekten – und zeigen seine Kompetenz.
Viele dieser Übungen lassen sich leicht in den Alltag integrieren und bereichern Menschen verschiedener Lebensbereiche.
Das Schlusskapitel bestätigt meine Interpretation des „Ostens im Westen“.
Er versucht, tantrische Prinzipien in das jüdisch-christliche Weltbild einzufügen – eine Kultur, die sich als zivilisiert betrachtet, aber innerlich leer und hungrig nach spirituellen Impulsen ist.
Ein Glossar am Ende ist ein nützliches Detail.
Eine der zentralen Ideen des Tantra ist Nichtbewertung, während die Essenz einer Rezension Bewertung ist.
Das Dilemma überlasse ich Ihnen, den Leser*innen.
Ich empfehle dieses Buch allen, die Tantra in seinem vollen Kontext verstehen möchten –
und rate: Lesen Sie es mit offenem Geist, nutzen Sie nicht nur den westlichen Verstand, sondern auch die uralte Fähigkeit, das Mystische, Tiefe und Abstrakte wahrzunehmen.










